Tod durch Nebenwirkung – Abschaffung der Arzneimittelsicherheit?

Dass Ilonka Bowitz heute noch lebt, grenzt an ein Wunder. Monatelang nahm sie Kava-Kava ein. Ein vermeintlich harmloses Naturmittel gegen Depressionen. Doch dann ging es ihr gesundheitlich immer schlechter.

Quelle: C.Esser, A. Randerath (www.ZDF.de Frontal21)

Ilonka Bowitz sagt heute: „Meine Kraft hat immer mehr nachgelassen. Das ist an sich die Geschichte. Der Körper hat vollkommen irgendwie nachgegeben. Und so um die Zeit meines Geburtstags am 30. März habe ich dann auch festgestellt, dass meine Haut gelb wurde und im Gesicht und an den Armen und Händen und in den Augen.“Falsches Medikament? Die 64-Jährige fiel ins Koma. Im Krankenhaus die Diagnose: akutes Leberversagen. Ohne eine Lebertransplantation wäre sie gestorben. Ihr behandelnder Arzt vermutet, dass es an Kava-Kava gelegen hat.Prof. Norbert Senninger vom Universitätsklinikum Münster erklärt uns: „Die Patientin nahm zu diesem Zeitpunkt nur ein harmloses Blutdruckmittel und eben dieses Antidepressivum Kava-Kava ein. Nur bei Letzterem ist bekannt, dass es zu Leberschädigungen kommt, deren Einzelheiten zum Teil auch noch nicht letztlich geklärt sind.“Dutzende Berichte über Leberschäden Das Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) in Bonn. Hier werden Arzneimittel und ihre Nebenwirkungen kritisch beobachtet und sogar, wie im Fall Kava-Kava, vom Markt genommen. Dutzende Berichte über oft schwerwiegende Leberschäden, sechs Lebertransplantationen und drei Tote. Die Behörde verbot das Medikament .Naturheilmittel Kava-KavaProf. Bruno Müller-Oerlinghausen ist Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Er sagt: „Das BfArM hat hier vollkommen richtig gehandelt aus unserer Sicht. Eine Substanz, die bezüglich ihrer Wirksamkeit nicht belegt ist, bei der aber Verdacht auf noch dazu schwere Risiken besteht, hat auf dem Markt nichts zu suchen.“Gefahr für die Patienten Dem Bundesinstitut für Arzneimittel ging Sicherheit vor Industrieinteressen. Doch damit könnte es bald vorbei sein. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt will das bewährte BfArM zu einer Deutschen Arzneimittelagentur umbauen. Experten sehen darin eine Gefahr für die Patienten.“Das BfArM wird auf eine Akklamationsbehörde für die Pharmaindustrie getrimmt und nach Möglichkeit soll diese Interessen der Industrie niemand stören, vor allen Dingen niemand, der Arzneimittelrisiken diskutiert. Dieses ist die kalte Abschaffung der Arzneimittelsicherheit in Deutschland“, erklärt der Pharmakologe Prof. Peter Schönhöfer, vom arznei-telegramm.Im Interesse der Pharmaindustrie Der Grund: Dieser Gesetzentwurf, der Frontal21 vorliegt. Der sieht nämlich vor allem eins vor: Die neue Agentur soll Medikamente künftig schneller auf den Markt bringen. Wörtlich heißt es darin: „Insbesondere muss die Effizienz der Zulassung von Arzneimitteln in ihrem Kerngeschäft gesteigert werden.“ Damit kommt die Bundesregierung den Interessen der Pharmaindustrie entgegen.Müller-Oerlinghausen stellt fest: „Für die Industrie lohnt sich das sehr, da geht es um sehr viel Geld. Aber aus Sicht der Patienten und Ärzteschaft lohnt es sich nicht, hier bei der Sorgfalt der Zulassung Kompromisse zu machen. Weil eben der tatsächliche Vorteil der neuen Substanzen meistens ganz gering ist.“Grundlage für den Gesetzentwurf war der Bericht einer Task Force, die Ulla Schmidt eigens eingerichtet hatte. Das Gremium kritisiert die Zulassungsdauer von Medikamenten. Kein Wunder, in der Task Force sitzt die Pharmaindustrie selbst. Patientenvertreter und Ärzte waren nicht eingeladen. Jörg Schaaber vom Pharma-Brief bemerkt dazu: „Das ist genau das, was wir kritisieren, dass es in einer demokratischen Gesellschaft eigentlich nicht angehen kann, dass die Gesetzentwürfe im Ministerium von der Pharmaindustrie mitgeschrieben werden und anschließend dürfen dann noch kleine Veränderungsvorschläge vorgenommen werden. So, finden wir, kann es nicht gehen.“Hand in Hand Das Ministerium, so Kritiker, sei ganz auf Linie der Pharmaindustrie. Nach Frontal21-Recherchen soll Schmidts Staatssekretär Klaus Theo Schröder als Vorsitzender des Verwaltungsrats die neue Agentur beaufsichtigen. Schröder ist an den Agentur-Plänen beteiligt. Druck von außen, das kennt man in der Behörde. Schon jetzt arbeiten Politiker und Pharmalobby oftmals Hand in Hand.Prof. Reinhard Kurth ist Kommissarischer Leiter des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte und hat die Erfahrung gemacht: „Ich erlebe manchmal Druck aus dem politischen Bereich. Da ruft dann schon einmal ein Abgeordneter an, warum man zu seiner Firma im Wahlkreis so böse ist und gewisse Dinge nicht so macht, wie die Firma es sich vorstellt.“ Sind Menschenleben egal? Auch die Lobbyisten des umstrittenen Medikaments Kava-Kava drängen beim Arzneimittelinstitut auf eine Wiederzulassung des verbotenen Medikaments. Die möglichen Todesfälle stören sie wenig. Dr. Jörg Grünwald von Phytopharm Consulting sagt: „Wir haben über eine Million Patienten, die das Produkt eingenommen haben. Allein in Deutschland unter kontrollierten ärztlichen Bedingungen.“ Frontal21 fragt nach: „Aber es sind doch Menschen gestorben?““Das ist richtig, es sind auch Menschen gestorben. Das ist schade, das ist schlimm und das soll nicht passieren“, antwortet Dr. Grünwald. Wir fragen wieder nach: „Aber sie wollen Medikamente auf den Markt bringen, wo Menschen gestorben sind?“ Er antwortet: „Nehmen Sie zum Beispiel andere Medikamente wie Viagra. Sie wissen, wie mehrere zehntausend Menschen an Herzinfarkt sterben.“Druck auf die Arzneimittelbehörde Auf unsere Nachfrage, ob es nicht zynisch sei, Todeszahlen zu vergleichen, antwortet Dr. Grünwald: „Es ist zynisch. Aber es wird bei Aspirin und bei allen Medikamenten und auch bei Nahrungsmitteln entsprechende Todesfälle geben.“Gemeinsam mit den Anbauländern im Pazifik versuchte Pharmalobbyist Grünwald über das Gesundheitsministerium Druck auf die Arzneimittelbehörde auszuüben. Offenbar mit Erfolg. Frontal21 liegt ein Schreiben vor, das Grünwald an das Bundesinstitut für Arzneimittel geschickt hat. Darin heißt es: „Frau Ministerin Schmidt und Herr Staatssekretär Schröder deuteten dem Samoanischen Premierminister an, dass eine Dosislimitierung von Kava einen möglichen Weg hin zur Aufhebung des Verbots darstellen könnte.“Kein Statement der Ministerin Ministerin Schmidt wollte sich zu diesem Thema nicht äußern. Kein Interview, auch nicht zum Umbau der Arzneimittelbehörde. Kava-Opfer Ilonka Bowitz kann nur noch hoffen, dass die Kontrolle von Arzneimitteln in Deutschland unabhängig bleibt.