Fehler bei der Behandlung mit Medikamenten – das ist ein heikles Thema. Doch seit kurzem wirbt die Ärzteschaft intensiv für einen offenen Umgang mit dem Thema Behandlungsfehler. Denn das ist eine Voraussetzung, um gemeinsam mit Krankenkassen und Politikern Strategien zum Erkennen und Vermeiden solcher Fehler umzusetzen.Daß deutsche Ärzte eine Fehlerkultur entwickeln müssen, daran sei nicht zu rütteln, so der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Professor Bruno Müller-Oerlinghausen. Er äußerte sich zu dem Thema beim ersten Deutschen Kongreß für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie. Die AkdÄ hatte den Kongreß in Saarbrücken gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium und dem Klinikum Saarbrücken ausgerichtet.Kommission geht von hoher Dunkelziffer ausSchwere unerwünschte Arzneinmittelwirkungen (UAW) – und um die geht es den Ärzten vor allem – werden nach Angaben der AkdÄ in Deutschland nur selten gemeldet. Bei wie vielen Patienten sie vermeidbar wären, ist unklar.
Hinweise geben zwei Studien mit knapp 2000 Patienten, die an Abteilungen für Innere Medizin stationär aufgenommen wurden: Bis zu vier Prozent der Patienten hatten zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme UAW, davon wären nach Angaben der Studienautoren zwischen 44 und 59 Prozent der registrierten UAW-Ereignisse vermeidbar gewesen.Während eines Klinikaufenthaltes bekommen nach Daten einer Studie der Universität Erlangen 25 bis 61 Prozent der Patienten UAW. Davon wären, so die Studienautoren, 40 bis 60 Prozent der Ereignisse vermeidbar.
Computer-basiertes System erfolgreich in der Praxis erprobtBei 30 bis 40 Prozent der UAW führten die Klinik-Ärzte in der Erlanger Studie die UAW richtig auf Medikamente zurück, am häufigsten bei schweren UAW, so der Pharmakologe Professor Kay Brune von der Universitätsklinik Erlangen-Nürnberg.Brunes Team hat ein Computer-basiertes System zur UAW-Erkennung entwickelt und bei 500 Patienten getestet. Wurden dabei entsprechende Labordaten eingegeben, meldete das System 61 Prozent der tatsächlich aufgetretenen UAW. Wurden zusätzlich Daten zu den verwendeten Arzneimitteln und zu Grunderkrankungen eingegeben, meldet es 87 Prozent.
Schon bei der Verordnung von Medikamenten können EDV-basierte Systeme das Risiko für Fehler dramatisch reduzieren, wenn Ärzte dabei nichts mehr handschriftlich machten. Das hat Professor David Bates vom Brigham and Women’s Hospital in Boston im US-Staat Massachusetts berichtet. Seit die Ärzte in dieser Klinik Arzneien ausschließlich über den Computer verschreiben, ist die Häufigkeit von Verordnungsfehlern um 81 Prozent gesunken. In Dänemark hat man aus diesen Erkenntnissen bereits weitreichende Schlüsse gezogen: Dort ist die Computer-Erfassung von Rezepten in Kliniken ab 2006 gesetzlich Pflicht.
Auch in Deutschland erproben einige Kliniken EDV-gestützte Systeme zur Vermeidung von UAW und Behandlungsfehlern, zum Beispiel am Klinikum Saarbrücken und an den Universitätskliniken Heidelberg und Ulm. Professor Walter Haefeli, klinischer Pharmakologe an der Uniklinik Heidelberg, hat zusammen mit seinem Team eine Software für die Dosierung von Medikamenten bei Niereninsuffizienz (www.dosing.de) entwickelt. Zwei Drittel der Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, die auf internistischen Abteilungen behandelt werden, erhalten zu hoch dosierte Arzneien, berichtete Haefeli.
Oft werde vergessen, daß das Serumkreatinin mit zunehmendem Alter und abnehmender Muskelmasse sinkt, die Funktionsfähigkeit der Niere werde dann überschätzt. Dosis-Anpassungen bei den Patienten haben nach Angaben von Haefeli die Kosten für Arzneimittel der Abteilung Innere Medizin um 14, die Risiken für UAW am ZNS um 60 Prozent gesenkt.
In dem ebenfalls in Heidelberg entwickelten Computerprogramm Arzneimittel-Informations-Dienst (AiDKlinik, www.aidklinik.de) werden Fachinformationen über Präparate mit Bewertungen und Empfehlungen von Fachgesellschaften, aber auch von Expertengremien der einzelnen Klinik für die Medikamentenanwendung verknüpft.EDV-Programm weist auf Wechselwirkungen hinNach Eingabe der Patientendaten macht das Programm Vorschläge für die Therapie, weist auf mögliche Wechselwirkungen zwischen den Arzneimitteln hin und kennzeichnet Präparate, für die eine Dosisanpassung bei eingeschränkter Nierenfunktion notwendig ist oder pharmakogenetische Informationen vorliegen. Aktuelle Hinweise wie Rote-Hand-Briefe werden sofort allen Nutzern weitergeleitet. „Für das Programm ist keine Schulung notwendig, es ist selbsterklärend“, sagte Ingenieur Jens Kaltschmidt, der die Software maßgeblich entwickelt hat.
Zusammen mit der elektronischen Gesundheitskarte, die in Deutschland 2006 eingeführt wird, dürften solche Systeme die Verordnung von Medikamenten deutlich sicherer machen, hieß es auf dem Kongreß.FAZITDie meisten unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) lassen sich durch die richtige Dosierung und geeignete Kombinationen von Medikamenten vermeiden. Mit Hilfe von Computer-Programmen, die Labor-Daten, Krankheitsdaten und die verordneten Arzneien von Patienten erfassen, können Ärzte UAW meist gut erkennen. Vermeiden lassen sich UAW oft, wenn Ärzte nun noch per Computer Rezepte verschreiben – mit einem Programm, das auf mögliche Wechselwirkungen aufmerksam macht.
Quelle:
www.aerztezeitung.de (Nicola Siegmund-Schultze)